Ziele
Ziele
Das Projekt verfolgt (1.) das Ziel, Repräsentationen und Deutungen der Welt für eine Periode zu erforschen, die durch eine enorm beschleunigte Wissenserzeugung und -distribution sowie eine Verflechtung von Nationalisierungs- und Globalisierungsprozessen geprägt wurde. Im Zentrum stehen jene ‚Weltbilder‘, mit denen Kinder und Jugendliche im 19./frühen 20. Jhd. aufgewachsen sind.
Dafür erschließt das Projekt mit Schul- und Kinderbüchern (2.) einen Medientypus, der Millionen Staatsbürger geprägt hat, aber noch nie mit einem komplexen und integrativen Ansatz auf Formen, Zirkulationen und Transformationen von gesellschaftlichem Wissen untersucht worden ist. Zwar existieren Einzelstudien, doch wissen wir in der Breite wenig über die Bilder, die sich junge Menschen in einer durch Beschleunigung, Fortschritt und Traditionsverlust geprägten Zeit von „ihrer“ Welt machen konnten. Zeittypische Tableaus sozial legitimierten Wissens und Dispositive, die die Vorstellungswelten größerer Gruppen von Kindern im Untersuchungszeitraum maßgeblich beeinflusst haben (könnten), sind noch kaum erforscht, denn bislang fehlte es an Instrumenten, um einen großen Korpus von Schul- und Kinderbüchern unter solchen Fragestellungen zu analysieren.
Das (3.) Ziel lautet daher, in der Analyse ausgewählter Quellenbestände hermeneutische Verfahren mit Methoden und Technologien zur Erschließung und wissenschaftlichen Annotation großer Textmengen zu verbinden. Das Projekt will in transdisziplinärer Arbeit neue Wege der Erkenntnisgewinnung erschließen, ihre Reichweite in Bezug auf etablierte qualitative Verfahren reflektieren und Grenzen historischer Forschung verschieben. Aktuelle Informatik-Verfahren wie Topic Detection und Opinion Mining werden bislang bevorzugt für Medien unserer Zeit angewendet.
Dass sie nun für Texte erprobt werden sollen, die eine der Sprache und Kultur des 19. Jhds. entsprechende semantische Struktur aufweisen, gehört (4.) zu den anspruchsvollen informatischen Zielen dieses Projektes, das aus mehreren Gründen methodisch explorativ ist: Quellen des 19. Jhds. wurden noch nicht für die Analysen von deutungsbehafteten Texten genutzt und auch die Spezifika von Kinder- und Jugendbüchern erfordern computerlinguistische Grundlagenforschung; anders als bei der Meinungsanalyse mit Standard-Korpora sind hier keine annotierten Trainingskorpora verfügbar.
Georg-Eckert-Institut (GEI) Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig
Das Projekt wird durch eine hohe Bereitschaft zur Inter- und Transdisziplinarität in der Kooperation zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus zwei Leibniz-Einrichtungen, drei Universitäten und zwei Forschungsbibliotheken getragen. Das GEI gewährleistet als Koordinierungsstelle die projektinterne Abstimmung, die Metadatenbearbeitung sowie die ergänzende Digitalisierung/OCR-Bearbeitung und realisiert die historische Analyse.
Der vom GEI zur Verfügung gestellte Quellenkorpus besteht aus urheberrechtsfreien deutschsprachigen Schulbüchern, die seit 2009 mit Förderung durch die DFG und in Kooperation mit anderen Bibliotheken digitalisiert wurden. Der ins Projekt einfließende Bestand von GEI-Digital umfasst zurzeit 3.500 Bände (900.000 Seiten), davon ca. 2.100 deutsche Geschichtsschulbücher des Kaiserreichs.
Nirgendwo sonst existiert ein so kompakter umfangreicher Bestand an rechtefreien historischen Schulbüchern auf Basis aktueller Standards. Er bot sich deshalb als Kern des Projekts an, in dem die Leistungsfähigkeit neuer Technologien für die Bearbeitung geisteswissenschaftlicher Forschungsfragen auch zur Nachnutzung getestet wird.
Das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt a. M./TU Darmstadt
Das Ubiquitous Knowledge Processing (UKP) Lab an der TU Darmstadt wendet Topic Modelling in verschiedenen Varianten sowie verwandte Methoden für die Nutzung mit den spezifischen Daten des Projekts an und evaluiert diese. Auf Basis aktueller Forschungsergebnisse aus dem Bereich des Natural Language Processing werden Methoden zur automatischen Textanalyse entwickelt und angepasst sowie für die Integration in die Benutzerschnittstelle implementiert.
Das UKP extrahiert automatisch mit unüberwachten (unsupervised) und weakly supervised Methoden die im Textkorpus behandelten Themen und modelliert, quantifiziert und analysiert zentrale Konzepte. In ständigem Austausch mit den Projektpartnern werden die dabei generierten Modelle auf die speziellen Bedürfnisse aus geschichtswissenschaftlicher Sicht optimiert und neue Erkenntnisse über die (semi-)automatische Anpassung bekannter Methoden an die Eigenschaften spezieller Datensätze wie dem Schulbuchkorpus aus Welt der Kinder gewonnen.
Das Institut für Informationswissenschaft und Sprachtechnologie (IWIST) in Hildesheim
Das Teilprojekt am IWIST forscht zu „Bedarfsanalyse, Entwicklung und Evaluierung der interaktiven Forschungsschnittstelle zwischen Mensch und Maschine für Digital Humanists“. Zentral ist die Benutzerperspektive, die das Verhalten z. B. von Domänenexperten bei allen informationellen Vorgängen und der Gestaltung artifizieller Systeme berücksichtigt. Über verschiedene Methoden, Befragungen und videogestützte Arbeitsbeobachtungen und -analysen erhebt das IWIST die konkreten Informationsbedarfe der Historiker und erfasst den Ablauf der Informationsprozesse. Des Weiteren wird bestimmt, welche Algorithmen das System mit welchen Parametrisierungsmöglichkeiten, Optionen und Ausgaben zur Verfügung stellen soll. Das IWIST übernimmt – bezogen auf den Informationsbedarf – die Gestaltung der Benutzungsoberfläche.
Das Forschungsinteresse am IWIST im Rahmen des Projektes zielt auf die Analyse von domänenspezifischem (Fach-)Informationsverhalten ab und dessen Generalisierung. Auch Forschungen zur Eignung von Methoden stehen im Fokus.
Institut für Populäre Kulturen (ISEK) in Zürich
Der Schwerpunkt Kinder- und Jugendmedien am ISEK der Universität Zürich widmet sich schriftbasierten, bildbasierten und audiovisuellen Produkten in unterschiedlichen Text-Bild-Ton-Kombinationen und Medien. Gegenstand sind spezifische oder intentionale Kinder- und Jugendmedien in Vergangenheit und Gegenwart. Sie werden vorwiegend im Hinblick auf ihre Deutungsangebote und Bedeutungszuschreibungen untersucht.
Unser Interesse an diesem Projekt besteht in der Vernetzung der Kinder- und Jugendliteraturforschung mit der Schulbuchforschung.
Eine im Rahmen des Projekts vom ISEK mit ausgerichtete internationale Tagung an der Universität Zürich im Februar 2016 soll der Vorstellung von Projektergebnissen in der scientific community und dem Austausch mit Fachkollegen dienen.
SCHWEIZERISCHES INSTITUT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIEN (SIKJM) IN ZÜRICH
Die Bibliothek des SIKJM, eines assoziierten Instituts der Universität Zürich, verfügt über eine in der Schweiz einzigartige Sammlung von Kinder- und Jugendbüchern seit dem 17. Jahrhundert. Sie umfasst rund 50’000 Titel, darunter zahlreiche Bände des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Teile des älteren Bestandes sind auf der e-rara-Plattform frei zugänglich.
Das SIKJM stellt dem Quellenkorpus des Projektes ggf. weitere Kinderbücher zur Verfügung und beteiligt sich an der Organisation der obengenannten Tagung an der Universität Zürich.
Bayrische StaatsBibliothek (BSB) in München
Angereichert wird der Quellenkorpus durch Kooperation mit der Bayerischen Staatsbibliothek. Die BSB hat im Rahmen ihrer Public-Private-Partnership mit Google Inc. bereits einen großen Teil ihrer urheberrechtsfreien Bestände digitalisiert und macht diese Bestände über ihren OPAC und andere Portale wie z. B. Europeana verfügbar. Die BSB bringt einen Bestand von ca. 200 bis 400 Schulbüchern (vor 1870) ins Projekt ein. Außerdem wird eine entsprechende Anzahl Kinder- und Jugendbücher nutzbar gemacht.
Bibliothek der TU Braunschweig
Die UB Braunschweig bringt seine Sammlung deutschsprachiger Kinder- und Jugendliteratur (KJL), Teil der früheren „Sammlung Hobrecker“ ins Projekt ein. Diese beinhalten mehrere literarische Genres (Abenteuerromane, Robinsonaden, moralisch-religiöse Geschichten, Heimatgeschichten, Gedicht- und Liedersammlungen).
Göttingen Centre for Digital Humanities (GCDH)
Schul- und Kinderbücher haben im Laufe des 19. Jahrhunderts ganz unterschiedliche Themen emotional besetzt, andere eher beiläufig behandelt. Mit Verfahren der Sentiment-Analyse untersuchen wir die wechselnde emotionale Aufladung von Themen, die das Weltbild der Kinder im 19. Jahrhundert geprägt haben.
Sentiment-Analyse ist ein Verfahren, um anhand von Emotionswörtern, ihrer Verteilung und ihren Häufigkeiten etwas über die wechselnde Emotionalisierung von Themen herauszufinden. Dieses Verfahren findet vielfach in der Wirtschaft Anwendung, wurde aber bislang nur selten auf historische Text-Sammlungen angewendet.